Der Hauch von Woodstock

 

Der Hauch von Woodstock

Ten Years After begeisterten beim Zeltspektakel in Wendlingen durchaus auch ohne Alvin Lee

WENDLINGEN. Ten Years After ohne Alvin Lee, kann man da überhaupt hingehen? 800 Bluesrock-Fans haben’s gewagt – und gewonnen. Selbst eingefleischte Puristen konnten die blonde Woodstock-Legende am Samstagabend im Wendlinger Spektakelzelt nicht wirklich vermisst haben, denn was sein Nachfolger Joe Gooch da auf der Bühne abzog, war nichts weniger als ein von musikalischen Geistesblitzen durchzogenes Gitarrengewitter.


HEINZ BÖHLER

Doch vor dem Auftritt von Leo Lyons und Co. überraschte noch jemand, und zwar Roger ’n’ Stuff. Die Band um Blueslegende Roger Röger bot Blues und Soul vom Feinsten, Interpretationen von Klassikern und nicht so oft gehörte Perlen der Musikgeschichte. Roger Rögers gleichermaßen druckvolle, wie mit einer eindrucksvollen Lässigkeit eingesetzte Stimme wurde von den Grooves der Rhythm-Section um Tastenmann Michael Schütz, bestehend aus Sebastian Zimmermann (Bass) und Stefan Schütz (Drums), sowie den lockeren Soli des Gitarristen Kuno Bahnmaier auf eine bestechend authentische Weise unterstützt.

Die leckeren Rhythm-and-Blues-Häppchen erwiesen sich am dritten Abend des diesjährigen Wendlinger Zeltspektakels als hervorragend geeignet, das Publikum auf das Hauptmenü einzustimmen: Die Woodstock-Veteranen von Ten Years After mit ihrem Gitarrenküken Joe Gooch. Die kamen dann nach einer guten halben Stunde Musik und einer kurzen Umbaupause auf die Bühne, von den Konzertbesuchern mit begeistertem Beifall empfangen, und lohnten es den Zuhörern während der zwei Stunden mit einer satten Portion Spielfreude, verbunden mit Können, Präzision und einem Schuss Ingenium – typische Anzeichen dafür, dass ein gewisser Joe Gooch mit Ten Years After auf der Bühne steht. Der 32-Jährige fügte sich in die Spielweise seiner drei mehr als doppelt so alten Kollegen nicht nur ein, sondern setzte eigene Akzente.

Von Anfang an war aber auch klar: Hier karikiert sich keine Oldie-Band beständig selbst. Bassist Leo Lyons, Drummer Ric Lee und Tastengreifer Chick Churchill hatten nicht nur einen neuen Mann an der Gitarre mitgebracht, sondern auch jede Menge neues Song-Material, das sie auch fleißig auspackten und beileibe nicht nur Höflichkeitsapplaus dafür kassierten.

Klar, dass das Hauptaugenmerk sowohl der Musiker als auch des Publikums auf die alten Hits wie "Hear me Calling" oder "Love like a Man" gerichtet war. Aber auch hier folgte das Quartett keineswegs sklavisch der Partitur. Die ohnehin schon recht langen Stücke erfuhren noch erhebliche Ausbauten, wie man das von den Bands früherer Tage eben so kennt, vor allem wenn die Affinität zum fast jazzigen Improvisieren so ausgeprägt war wie bei "TYA".

Auch da war der neue Frontman in seinem Element und eröffnete den Zuhörern während des rund 20-minütigen "I Can’t Keep From Crying Sometimes" seine umfangreiche musikalische Zitaten-Sammlung aus der Rockgeschichte.

Zu "Good Morning Little Schoolgirl" zeigte Gooch eindrucksvoll, dass seine Auseinandersetzung mit dem Blues mitnichten an der Oberfläche stehen geblieben ist, und das abschließende Paradestück seines Vorgängers, "Going Home", geriet zum Triumphzug des Nachfolgers, der auf seinem Instrument alle Register zog und die Hymne der Woodstock-Generation auf die nächsthöhere Ebene der Interpretationskunst hob.

Spätestens jetzt musste jedem klar sein, dass Alvin Lee zumindest keine dauerhafte Lücke hinterlassen hat. Ein sich mit modernen Stilmitteln in die guten alten Zeiten der Woodstock-Ära zurück versetzt fühlendes Publikum – nur wenige waren jünger als die TYA-Veteranen Churchill, Lyons und Lee – hielt mit seiner Begeisterung nicht hinter dem Berg, sondern animierte das Quartett mit lang anhaltenden Ovationen dazu, noch zweimal zwecks Zugabe auf die Bühne zurückzukommen.

Alt und Jung gaben Gas: Leo Lyons am Bass (links) und Gitarrenküken Joe Gooch. heb